ME GUSTA I GIRA POR LAS AMERICAS
Carlos Ibran
1. November bis 10. November 2013
Programm
Vernissage: Freitag 1. November, ab 19.00 Uhr
ab ca. 20 Uhr Konzert von „Nives Onori“
Finissage: 10. November, ab 14 Uhr
Öffnungszeiten
Do. 18-22 Uhr
Fr. 17-22 Uhr
Sa. und So. 13-16 Uhr
zur Ausstellung / Veranstaltung
Der aus Madrid stammende Carlos Ibran hat von seiner Tour durch die ‚Amerikas‘ unzählige Aufnahmen mitgenommen, die er mit einer Instant-Kamera geschossen hat. Mit der analogen Sofortbildmaschine hat er, ganz nach Manier der heute online geposteten Fotografien, festgehalten und markiert, wo er ein ‚I like‘ setzt. «Me gusta | Gira por las Americas» nimmt sich dem Phänomen des augenblicklichen Zeigens und Kommentierens des eigenen Erlebens (unter anderem in den Social Medias) an. Mehr soll an dieser Stelle noch nicht geschrieben sein, denn wie immer übernimmt eine unabhängige Schreibende die Rolle der Kommentatorin bzw. Kritikerin. Denn das affirmative ‚I like‘ soll bewusst überschritten werden.
zum Künstler, zur Künstlerin
Ausstellungskritik
Carlos Ibran
«ME GUSTA | GIRA POR LAS AMERICAS»
Ausstellung vom 1. November bis 10. November 2013, Ausstellungsraum eg
Von Midori Tokumei, 2. November 2013
Carlos Ibran ist von einer Reise zurückgekehrt. Nicht der erste und mit Sicherheit auch nicht der letzte Künstler, der sich durch die Welt begibt. Ob auf der Suche oder auf der Flucht ein Heimkehrender bringt immer etwas mit. Seine Arbeiten im Aarauer «eg» zu zeigen, bedeutete für Ibran eine erneute Reise. Dieses Mal erfüllt sie den Zweck, seine Mitbringsel aus den drei Amerikas zu ordnen und für den Blick von Fremden frei zu geben.
Im langgezogenen Raum des «eg» reiht Ibran drei rechteckige Lichtflächen wie Bilderrahmen auf. Einer der drei Carousel-Diaprojektoren dient als Lichtquelle für zwei Metallköfferchen. Darauf zu erkennen ist ein Aufkleber mit dem Namen des Künstlers „Carlos Ibran“. Die an den Lederträgern aufgehängten und ausgeleuchteten Köfferchen, die als Munitionskoffer dienten, wirken wie Relikte aus einer Zeit lange vor uns. Es entsteht ein Ambiente wie man es aus historischen Museen kennt. Der zweite Projektor belichtet eine Collage aus Polaroids. Die 238 mit der Sofortbildmaschine aufgenommenen Fotografien sind aufgereiht, als ob sie einer Google-Bildsuche entspringen. Von seiner Reise hat Ibran, wie ein Tourist, Fotografien aus der Fremde mitgebracht. Sie zeigen Elemente einer Grossstadt, die jeder kennt: Monumente, Reiterstatuen, repräsentative Bauten, davor nicht aber ein Urlauber oder der Künstler, der seine Präsenz an diesem Ort bestätigt, sondern seine Hand mit hochgestrecktem Daumen: me gusta! Der Hintergrund ist nur noch verschwommen wahrnehmbar – die Kulisse könnte überall sein – um so präsenter aber manifestiert sich der Daumen, der nunmehr einer Karikatur des Facebook Interaktionsknopfes gleichkommt. Wie undifferenziert die Kommunikation im sozialen Netzwerk abläuft – es gibt den erhobenen Daumen oder gar nichts – so austauschbar ist der Ort an sich. Obwohl Ibran auf einer „gira por las Americas“ war, zeigt er uns wie unbedeutend das tatsächliche Hinsehen ist.
Der aus Madrid stammende Künstler Carlos Ibran macht den digitalen I-like-Button vom nebensächlichen Kommentar zum Hauptakteur in seinen Polaroids. Es ist die Umkehrung, die auch in sozialen Netzwerken passiert: eine Nachricht, ein Post wird verfasst um der Kommentare, um der „likes“ willen. Je mehr erhobene Daumen, umso besser.
Das dritte Karussell ist das einzige, das Diapositive auf die Wand projiziert, doch das für analoges Bildmaterial gedachte Vorführgerät zeigt digital bearbeitete Montagen von unterwegs besuchten Kunstmuseen.
Ibran markiert Kunstmuseen, die er auf seiner Reise besucht hat, mit einem „me gusta“, genau so wie die touristischen Attraktionen und geht noch einen Schritt weiter: Die vor der Institution geschossenen Polaroids stellt der Künstler in Eigenregie im selben Museum aus. Wie bereits auch der Street-Art Künstler Banksy in verschieden Museen ungefragt seine Bilder zwischen berühmten Kunstwerken aufhängte – ihr erinnert euch bestimmt an die Höhlenmalerei, 2005 im British Museum, auf der ein Strichmännchen einen Einkaufswagen vor sich her schiebt – konstruiert und entwirft auch Ibran mit dem Unterbringen seiner Polaroids und der dazugehörigen Bildlegenden in verschiedenen Institutionen seine Ausstellungskarriere. Fragt man Ibran, so gehören diese Orte unwiderruflich zu seinem Lebenslauf und folglich sind auf den Bildmontagen die Museen zu sehen, in denen Ibran seine Spur hinterlassen hat. Durch die digitale Bearbeitung der Fotografien werden plötzlich Banner sichtbar auf denen nun der Name des Künstlers oder der Schriftzug „me gusta“ steht. Die Fotografien dienen so als Indiz in das der Künstler sich hineingeschrieben hat, doch werden sie vom Künstler nicht als reales Bild präsentiert, sondern explizit als Konzeption seiner Laufbahn deklariert. Anders als bei anderen Künstlern werde er zwar nicht von KuratorInnen eines Museums oder GaleristInnen angefragt, doch könne er auf diese Weise sich selber aussuchen, wo er ausstellt. Gleichzeitig sei es auch eine Auszeichnung von ihm an die jeweilige Institution. Denn er stelle, so der Künstler, nicht in jedem Haus ungeladen aus […] er zeige mit diesen Aktionen ein besonderes Interesse für eine Ausstellung oder eine Sammlung – genauer gesagt ein I-like. Sollte man nun in der Ausstellung „Dieter Meier – In Conversation“ im Aargauer Kunsthaus Ausschau nach einem „me-gusta“-Polaroid halten? Übernimmt Ibran nun meine Rolle als Kritikerin und gibt zur Ausstellung sein Urteil ab?
In Carlos Ibrans Arbeit lassen sich Elemente der Kommunikationsguerilla erkennen. Indem er die in den Social Medias stattfindende affirmative Ausdrucksform des I-like-Buttons imitiert und vom digitalen Bereich in ein analoges Medium transferiert findet eine Umdeutung statt. Bleibt zwar offen, ob er mit dem in Szene setzen des erhobenen Daumens auch tatsächlich eine Kritik im Sinne Roland Barthes aufgreift. Der französische Philosoph fragte, ob die „beste Subversion nicht die [ist], Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“[1] Die inhaltlichen Ansätze in Ibrans Arbeiten haben einen überzeugenden Startpunkt: Er führt uns den Prozess des schnellen Kommentierens und der affirmativen Starrheit des I-like-Codes vor Augen und stellt ihn damit zur Debatte. Beinhaltet dieses Infragestellen aber nicht selbst eine gewisse Starrheit? Weist es über sich hinaus?
Der Inhalt der Ausstellung wird mit diesen Fotografien zwar erweitert, zuweilen aber auch ausgeleiert. Die Bildmontagen greifen das gesellschaftliche Thema der schnellen Postings und der Sucht nach affirmativen Kommentaren dazu in den digitalen Interaktionen auf, es wird allerdings nicht klar, wohin diese Thematisierung läuft. Ist es eine Kritik der quantifizierbaren Kommunikation im Sinne eines gesellschaftlichen Phänomens? Ist es eine Institutionskritik der Kunstmuseen? Das selbstermächtigte Ausstellen Ibrans wirft dabei weitere kaum zu beantwortende Fragen rund um das Kunstsystem auf: Wer entscheidet, welcher Künstler ausstellen darf? Kann sich ein Künstler erst als solcher bezeichnen, wenn er eingeladen wird (in einem renommierten Museum) auszustellen? Und schliesslich die Frage aller Fragen: Was ist Kunst?
Ich frage mich worin die Verbindung zwischen den drei aufgezogenen Lichtflächen im Aarauer «eg» besteht: Munitionskoffer, Touristenfotos und Museumsfotos. Ist es im Sinne dreier Entwicklungsstadien zu lesen? Ein dramaturgischer Aufbau, der uns zum Anschlag des Kunst-Guerillero führt?
Bleibt es beim Bombing der Sprayerszene? „Mir gefällt“ die Kritik der Social Media und ich möchte Carlos Ibran ermuntern, diesen Faden weiterzuspinnen. Wie zum Beispiel sieht das Kunst-Networking auf Facebook aus? Wie interagieren die zahlreichen Kunstmuseen auf Facebook? Liked sie Carlos Ibran? Oder liken sie ihn?
Und wie sieht es mit dem Post seiner Aarauer Ausstellung aus? Sind bereits die ersten erhobenen Daumen zu sehen? Ich zumindest bin gespannt, wie es weitergeht – I follow!
Ein herzlicher Dank gilt Sandra Krähenbühl, die mich bei der Korrektur dieser deutschen Textfassung unterstützt hat!
© Midori Tokumei
[1] Roland Barthes, Sade, Fourier, Loyola, Paris 1980, S. 141.
Ausstellungskritik von Midori Tokumei (PDF)
Bilder zur Ausstellung
Bilder zur Vernissage «ME GUSTA| GIRA POR LAS AMERICAS»